Fabian Dammermanns Rückblick auf die Sommersaison 2018
Dienstagabend, 17:15 Uhr. Ich bin gerade aus der Uni zurückgekommen. Normalerweise heißt das: Umziehen und ab in den Sportpark Gretesch. Wintertraining – gemeinsam mit den Vereinskollegen an der Form für die nächste Saison arbeiten. Doch für mich steht heute ein Praktikumsbericht auf dem Plan. Eine vergleichweise ernüchternde Aussicht.
Mein Start in die Vorbereitung verzögert sich ohnehin um ein paar Wochen, weil ich erst noch eine Verletzung auskurieren muss. Das Warten fällt schwer nach einer unglaublichen Saison 2018. Die Motivation ist riesig.
Der letzte Wettkampf liegt zwar schon mehr als drei Monate zurück, aber so richtig verarbeitet ist er noch nicht. 60.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion, dazu Millionen vor dem Fernseher – und wir als deutsche 4x400-Meter-Staffel im Finale der Europameisterschaften.
Aber nicht nur dieses Erlebnis wirkt nach. Der erste Lauf unter 47 Sekunden, das allein wäre ein Grund zur Freude. Aber gleich danach auch erstmals unter 46 Sekunden. Und damit meine erste DLV-Einzelnorm für ein internationales Großereignis. Nicht etwa in der Jugend, sondern gleich bei den Männern. Einfach fantastisch.
Dazu der Deutsche Meistertitel in der U23 in einem Herzschlagfinale! Aber dass es bis zum letzten Meter spannend bleibt, gehört ja fast schon dazu. Der zweite Titel nach 2016, damals in der U20 und in der Halle. Jetzt also der erste Freilufttitel. Diesen Lauf werde ich so schnell nicht vergessen.
Das gesamte Wochenende war dabei ziemlich besonders. Sonst bin ich oft mit meinem Trainer Anton Siemer unterwegs, manchmal sind noch ein paar weitere LG-Athleten dabei. In Heilbronn waren es allerdings gleich drei Staffelteams, die für die LG Osnabrück bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften an den Start gingen.
14 Athletinnen und Athleten. Für die 3x1000 Meter männlich und zweimal für die 4x400 Meter, einmal männlich und einmal weiblich. Die Atmosphäre im Hotel, beim Abendessen und vor allem auf der Bahn war einfach klasse. Ich war noch keine zehn Sekunden im Ziel, da standen schon die ersten Vereinskameraden jubelnd und mit der LG-Fahne in der Hand neben mir. Wie sie es so schnell dorthin geschafft haben? Keine Ahnung.
Der zweitschönste Moment dieses Wochenendes war das Finale über 4x400m. Nach Vor- und Endlauf im Einzel der dritte Lauf an zwei Tagen. Die Beine waren zwar schwer, aber das Ziel trotzdem groß. Eine Medaille sollte her. 2016 in Kassel hatten wir in der U20, Silber geholt auch über 4x400m. Ich laufe am Schluss, das Rennen war für uns bis dahin nicht optimal verlaufen.
Wir sind Fünfter, bis zu den Medaillenplätzen sind es gut und gerne zehn Meter. Also los. Erst einmal vorsichtig anlaufen, nach 180 Metern ist die Lücke zu den zwei Sprintern vor mir geschlossen. Und jetzt? Warten oder angreifen?
Die Antwort ist klar: Angreifen. Platz vier. Platz drei. Noch zehn Meter bis zu Silber. Am Ende fehlt gerade mal eine einzige (!) Hundertstel zum zweiten Platz. Aber das ist völlig egal. Wir haben Bronze, wir haben eine Medaille.
Einmal Gold, einmal Bronze – Heilbronn hätte das Ende einer erfolgreichen Saison für mich sein können. Aber es kam anders. Heilbronn war viel mehr der Start einer unglaublichen Saison, in der ein Höhepunkt den nächsten jagte.
Direkt nach meinem 400m-Finale kam der Bundestrainer auf mich zu. „Du läufst in der deutschen 4x400m-Staffel beim Weltcup in London“.
Keine zwei Wochen später stand ich also in London. In dem Stadion, in dem 2012 die Olympischen Spiele stattgefunden hatten. Die schiere Größe dieses Stadions ist einfach gigantisch. Hier wurden Weltrekorde gelaufen, Olympiasieger gekrönt, Sportgeschichte geschrieben.
Und ich durfte an diesem Abend mit der Staffel vor fast 40.000 Zuschauern laufen. Ich würde lügen, wenn mich die Atmosphäre nicht etwas eingeschüchtert hätte. Der Lauf war am Sonntag, am Samstag feuerten wir unsere Teamkollegen an. Da wirkte der Gedanke, dass ich hier für die deutsche Mannschaft auf der Bahn stehen soll, noch etwas unwirklich.
Doch all diese Zweifel waren vergessen, als es auf das Oval ging. 400 Meter laufen, das liegt mir, das kann ich. Und an diesem Abend konnten wir es alle. Zuerst war es der vierte Platz mit einer Superzeit. Die Staffel für die EM war gerettet, die Zweifel an der Nominierung ausgeräumt.
Doch es kam noch besser. Als wir bereits in den Katakomben waren, erreichte uns plötzlich die Nachricht „Südafrika ist disqualifiziert“. Damit waren wir Dritter, hatten eine Medaille gewonnen. Anstatt in den Bus und ins Hotel ging es zurück ins Stadion und aufs Siegerpodest. Meine erste „internationale“ Medaille erhielt ich dabei von niemand geringerem als Carl Lewis. Ja, der Carl Lewis, der neunfache Olympiasieger, der achtmalige Weltmeister.

Auch das hätte ein krönender Saisonabschluss sein können, aber es ging weiter. Es stand die Deutsche Meisterschaft der Männer in Nürnberg an und es winkte, ja, ganz vielleicht, wobei eigentlich gar nicht mehr so unwahrscheinlich, eine Teilnahme mit der Nationalstaffel bei der EM in Berlin. Dazu musste mindestens Rang sechs her im Einzelfinale.
Und auch wenn ich nach London mit einem Start bei der EM geliebäugelt habe, so haben mich die Ereignisse in Nürnberg dann doch ziemlich überrumpelt.
Samstag, 13.05 Uhr, Vorlauf. Strömender Regen. Locker geht es ins Finale.
Sonntag, 16.10 Uhr. Finale. Ich sprinte ins Ziel, bin auf jeden Fall unter den Top Fünf. Das heißt, dass ich nach Berlin fahren darf! Doch was ich dann auf der Anzeigetafel im Max-Morlock-Stadion erblicke, kann nur ein Witz sein. Das war zumindest mein erster Gedanke.
Ich tauche als Dritter dort auf. Und dahinter eine Zeit...
45,94? Lieber noch ein zweiter und dritter Blick, um sicher zu gehen. Oder doch 46,94? Nein! Dort steht wirklich 45,94.
Passierte das gerade wirklich? Unter 46 Sekunden. Das würde ja bedeuten, dass ich nicht nur für die Staffel qualifiziert bin. Ich hätte auch die Norm, die der Deutsche Leichtathletik-Verband für einen Einzelstart forderte, unterboten.
Wenige Sekunden später steht dann fest: Kein Fehler, keine Verwechslung. Es ist wahr! Es geht für mich zur EM nach Berlin! Und dort schließlich über den Vorlauf ins Finale vor über 60.000 Zuschauern, zur besten Samstagabendzeit live im Zweiten Deutschen Fernsehen, im ZDF...
Während ich das hier so aufschreibe, klingt es immer noch irgendwie unwirklich. Zwar wurden wir am Ende „nur“ Achter – aber ich bin unglaublich glücklich und dankbar für diese Erfahrungen.
Ohne die vielen Menschen, die mich seit Jahren unterstützen, hätte ich das nie geschafft. Sie jetzt alle an dieser Stelle aufzuzählen, würde den Rahmen endgültig sprengen. Umso schöner war es, dass so viele Freunde und Verwandte extra aus Osnabrück nach Berlin gekommen waren, um meinen Lauf nicht zu verpassen. Das ist ein tolles Gefühl, für das ich mich bei allen bedanken möchte.
Ach ja, eine Frage ist noch offen. „Und der Einzelstart?“. Das wäre eine eigene Geschichte. Nur so viel: Es war meine Entscheidung, nur in der Staffel zu laufen. Und es war gut so!